FErtig_Verbale Entwicklungsdyspraxie

Im Bereich der Artikulationstherapie bei Kindern unterscheiden wir zwischen phonetischen Lautfehlbildungen wie z. B. dem Lispeln (Sigmatismus) und den phonologischen Aussprachestörungen (Kanne → Tanne). Des Weiteren gibt es eine dritte, sehr ausgeprägte Aussprachestörung, die Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED).

Wie äußert sich eine Entwicklungsdyspraxie?
Die VED ist eine – meist schwere – Sprechstörung bei Kindern. Das zentrale Problem liegt auf der Ebene der Sprechbewegungsplanung und -programmierung. Daraus resultiert das Unvermögen oder die eingeschränkte Fähigkeit, für eine geplante Äußerung die Artikulationsorgane willkürlich und kontrolliert einzusetzen. Sie übt einen störenden Einfluss auf die gesamte expressive Sprachentwicklung aus. Der Wortschatzaufbau wird davon ebenso beeinträchtigt wie der Erwerb der grammatischen Kompetenz. Die Entwicklung des Sprachverständnisses bleibt unbetroffen.

Merkmaler der Entwicklungsdyspraxie
Die ersten Merkmale zeigen sich meist schon in der Säuglingszeit, da Kinder mit einer VED häufig „stille Babys“ sind, die kaum lallen und plappern. Der Sprechbeginn ist extrem verspätet und die weitere expressive Sprachentwicklung nach den ersten Wörtern verläuft äußerst schleppend oder stagniert völlig. In den ersten Sprechproduktionen finden sich oft kaum Konsonanten der sogenannten Vokalsprache. Ein charakteristisches Merkmal beim Sprechen ist die wenig verständliche Sprache. Die Lautbildungsfehler sind sehr variabel, so dass sich kein systematisches Lautfehlbildungsprofil erstellen lässt. Die sequenzielle Anordnung von Lauten und die erforderliche Bewegungsgeschwindigkeit bereiten große Probleme. Der Zustand ist inkonstant, sodass korrekte Bewegungen gelingen können (vergleiche A. Schulte-Mäter, 2017).

Leitsymptome der Entwicklungsdyspraxie
Als Leitsymptom der VED gilt eine inkonsistente Sprechproduktion auf vielfache Weise fehlgebildete Sprachlaute und Abfolgen, eine Regelmäßigkeit ist nicht zu erkennen. Darüber hinaus können nach Birner-Janusch und Lauer (2010) folgende Symptome auftreten:
● Veränderungen in der Prosodie, unangemessene Betonungsmuster
● Schwierigkeiten in der willkürlichen Sequenzierung von Sprechlauten sog. Quatschwörter können nicht oder meist nur falsch nachgesprochen werden, Laute werden in ihrer Reihenfolge vertauscht
● gehäufte Fälle innerhalb einer Familie statistisch sind 3-mal so häufig Jungs betroffen
● leichte neurologische Auffälligkeiten, verzögertes Erreichen sog. motorischer Meilensteine; leichte grob- und feinmotorische Auffälligkeiten
● Probleme in der visuellen Wahrnehmung insbesondere Raum-Lage-Wahrnehmung und räumliche Beziehungen
● Probleme im Saug-, Schluck- und Atemrhythmus, Bevorzugung von weichen und breiigen Nahrungsmitteln
● Suchbewegungen bei der Ausführung von motorischen Bewegungen im Mundbereich, Defizite in der oralen Wahrnehmung
● auffallend gering ausgeprägte Lallphasen, kaum Konsonanten
● auffällige Lautbildung; Vertauschung, Auslassung und Hinzufügungen von Lauten, Wiederholungen, Fehlen von Lautimitation, Verlängerung von Lauten
● auffallend später Sprechbeginn, eingeschränkter Wortschatz, mehr Fehler bei langen Wörtern
● Satzbau ebenfalls verspätet, später Dysgrammatismus, Einzelwörter sind besser zu verstehen als Sätze
● Probleme in der phonologischen Bewusstheit
● gehäuft nonverbale Strategien als Ersatz für fehlende Wörter zeigen, Eltern zum Ziel führen
● Sprachverständnis ist signifikant besser als aktive Sprache

Behandlung der Entwicklungsdyspraxie
Die Behandlung der VED muss auf die speziellen Belange einer sprechdyspraktischen Störung ausgerichtet werden. Für Logopäden stellt sie eine große Herausforderung bezüglich Diagnostik und Therapie dar: Kinder mit VED fallen letztendlich nicht selten durch ihre „Therapieresistenz“ auf.
Unbedingt erforderlich ist auch die Arbeit der Eltern zu Hause. Es werden nach jeder Therapieeinheit entsprechende Übungen und Anleitungen für zu Hause gegeben.
Eine unbehandelte VED kann sich nachteilig auf die gesamte Sprach- und Sprechentwicklung auswirken, sodass in der Folge auch eine Lese- und Rechtschreibstörung entstehen kann. Um dieses zu vermeiden und die Sprach- und Sprechentwicklung des Kindes zu unterstützen, ist eine langfristige und intensive logopädische Therapie erforderlich.
Zur Behandlung dieser Symptome gibt es verschiedene Therapiemethoden, u. a. KoArt, die Assoziationsmethode nach McGinnis, TAKTKIN oder VEDiT. In unserer Praxis behandeln wir nach TAKTKIN und VEDiT.
TAKTKIN ist eine Methode, bei der der Therapeut mittels bestimmter Handgriffe im Gesicht des Kindes die Sprechbewegung unterstützt. Bei VEDiT (VED-intensiv-Therapie) wird mit dem phonembestimmten Manualsystem (PMS) die Artikulation in Kombination von Handzeichen, Mundbild und dazugehörigen Buchstabenkarten erarbeitet.