Der Zusammenhang zwischen Spiel- und Sprachentwicklung
Eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung der sprachlichen Fähigkeiten ist, dass das Kind seine Umwelt begreift, also sie sowohl versteht als auch mit ihr umzugehen lernt.
Die Zusammenhänge zwischen Spiel- und Sprachentwicklung lassen erkennen, dass die Förderung der Sprachentwicklung nicht unabhängig von der Förderung der Spielentwicklung erfolgen kann. Das bedeutet, dass durch das Heranführen an den nächsten Entwicklungsschritt des Spielens im Verlauf der Therapie auch die Sprachentwicklung des Kindes unterstützt werden kann. Im Symbol- und im Rollenspiel lassen sich besondere Charakteristika ausmachen, die für die Sprachentwicklung wichtig sind.
„Das Spiel […] ist die zentrale Tätigkeit der Kinder und muss daher auch Bestandteil des sprachtherapeutischen Settings sein.“ (Wildegger-Lack, 2006, 242) Weinberger sieht das kindliche „Spielen als die zentrale Tätigkeitsform des kindlichen Lebens“ (Weinberger, 2001, 75) an.
Nach Heimlich (2015) unterscheidet sich eine Spielhandlung von einer extrinsisch motivierten, nicht spielerischen Alltagshandlung, „wenn die Merkmale der intrinsischen Motivation, der Fantasie und der Selbstkontrolle bezogen auf eine konkret beobachtbare Tätigkeit überwiegen“ (Heimlich, 2015, 30). Damit nennt Heimlich drei weitere wichtige Charakteristika des Spielens: Die Spielhandlung entsteht aus einem inneren Bedürfnis des Kindes heraus und das Kind möchte das Spiel möglichst selbst bestimmen, es als eine freie Handlung empfinden. Die Handlungen entstehen aus seiner Fantasie heraus, wobei der Bezug zur Realität in kleinerem oder größerem Maße erhalten bleibt (Heimlich, 2015, 31).
Während der Therapie kann zwischen Kind und Therapeutin oder Therapeut eine vertraute Beziehung geschaffen werden, in der das Spiel als Kommunikationsmittel genutzt wird. Dem Kind wird es deutlich leichter fallen, neue Fähigkeiten zu erarbeiten und zu vertiefen, wenn ihm die Therapeut*innen auf einer ihm entsprechenden Ebene begegnet.
Zollinger beschreibt das Spiel als die zentrale Kommunikationsform des Kindes (Zollinger, 2004). Dem entspricht auch die Äußerung von Hochmann, dass im Spiel „wichtige, für das Kind bedeutsame Ereignisse dargestellt und die damit verbundenen Gefühle ausgedrückt werden“ (Hochmann, 2006, 239) können. Über das Ausagieren im Spiel kann das Kind Ereignisse besser verstehen und verarbeiten.
Um dem Kind auf seiner Ebene zu begegnen, bietet sich also die Sprache des Spiels an. Ein kleines Kind kann noch nicht „Mensch ärgere dich nicht“ spielen, aber über eine „Vater-Mutter-Kind“-Situation den Alltag verstehen.
Zollinger zufolge stellt das Spiel das gemeinsame Thema dar, durch das Kommunikation zustande kommen kann. Über das Spiel treten Kind und Therapeutin oder Therapeut in Kontakt miteinander (Zollinger, 2004, 30). Hochmann bezeichnet das Spiel als ein wichtiges Ausdrucksmittel des Kindes, durch das es seinen emotionalen Zustand und seine Beziehung zur Welt ausdrückt (Hochmann, 2006, 237). Kinder können somit Dinge, die sie nicht „aussprechen“ können, „spielerisch“ auf- und verarbeiten.
Die Kommunikations- und Kontaktebene des Spiels erfüllt daher in der Therapie eine wichtige Funktion. Sie schafft optimale Voraussetzungen für einen guten Kontakt zwischen Kind und Therapeutin oder Therapeut und bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Therapie.
„Beobachtet der Therapeut das Kind aufmerksam während einer Spielsituation, erhält er wertvolle Anhaltspunkte für seinen Befund hinsichtlich der Gesamtentwicklung des Kindes. So kann er Erkenntnisse darüber gewinnen, inwiefern das Kind Handlungen strukturiert und an seiner Umwelt teilhat“. (Wolf, 2015, 19)
„Das therapeutische Handeln kann nur an die Voraussetzungen und Bedürfnisse des Kindes angepasst werden, wenn die dem Entwicklungsabschnitt zentralen Spielformen berücksichtigt werden.“ (Andresen & Lange, 2006, 128)
Das sensomotorische Spiel oder auch Funktionsspiel
Bereits ab dem zweiten Lebensmonat können bei Kindern die sogenannten sensomotorischen Spiele beobachtet werden. Es sind Spiele, in denen das Kind sich mit seinem eigenen Köper intensiv auseinandersetzt und seine Freude an Körperbewegungen zeigt. Das Kind betrachtet seine Körperteile als Spielobjekte, es untersucht Gegenstände mit Mund und Händen und entdeckt, dass man mit dem Mund Geräusche machen kann. Das Produzieren von Lauten und das „Gurren“ sind erste Meilensteine in der Sprachentwicklung und dienen dem Ausdruck von primären Emotionen sowie der Kontaktaufnahme mit anderen Personen. Zum Erforschen des eigenen Körpers sowie zum Entdecken von dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten ist das Angebot von entwicklungsgerechten Spielsituationen und -objekten notwendig.
Das Kind kommt z. B. das erste Mal mit etwas Heißem in Berührung. Es verbindet mit dem Wort „heiß“ nun eine Situation und eine Empfindung. Solche selbst gemachten Erfahrungen ermöglichen dem Kind, Begriffe zu bilden und schließlich Wörter zu lernen. Später stellt das Kind fest, dass das gleiche Wort „heiß“ auch in anderen Situationen gebraucht wird (z. B. im Zusammenhang mit Feuer). Im Laufe seiner Entwicklung kann das Kind immer mehr Zusammenhänge herstellen und somit seine Sprache erweitern.
Mit zunehmender Vorstellungskraft ist ein Kind in der Lage, die abstrakte Funktion von Sprache zu entdecken. Das Kind merkt, dass man auch über Dinge sprechen kann, die nicht unmittelbar vorhanden sind. Dazu gehört auch das Sprechen über Gefühle.
Es wird das körperbezogene vom gegenstandbezogenen Funktionsspiel unterschieden.
Körperbezogenes Funktionsspiel
Das körperbezogene Funktionsspiel verweist bei Säuglingen auf das Erforschen ihrer Körper aus Freude an der Bewegung. Zu Beginn sind die Bewegungen noch ungesteuert und ungerichtet. Nach dieser Phase lernen die Säuglinge Bewegungen bewusst zu steuern, wie beispielsweise Finger in den Mund stecken, greifen, festhalten, und können dies nach Belieben wiederholen. Die Bewegungen werden wiederholt, wenn sie Freude bereiten oder Erfolgserlebnisse vermitteln. Die Wahrnehmung wird gefördert, indem das Kind sensorische, also taktile, akustische, visuelle sowie fein- und grobmotorische Funktionen aufeinander abgestimmt und diese ausdifferenziert.
Piaget spricht von den ersten sensomotorischen Koordinationsleistungen. Durch die sensomotorischen Tätigkeiten entsteht das Körperimago im Sinne eines Körpergefühls, welches sich im Laufe der Entwicklung des Kindes ausdifferenziert (Oy & Sagi, 2011, 127). „Diese basalen Wahrnehmungsverarbeitungen ermöglichen erst die serialen und intentionalen Leistungen, auf denen sich eine Symbolfähigkeit aufbauen kann“ (Oy & Sagi, 2011, 127).
Gegenstandsbezogenes Funktionsspiel
Mit der Entwicklung des Greifens werden Gegenstände fürs Spiel bewusst ausgewählt. Das Kleinkind greift nach den Gegenständen oder Personen, die es sieht. Später dann entdeckt es den Effekt neu und versucht, ihn zu wiederholen. Der Übungs- und Gedächtniseffekt tritt ein. So nehmen Säuglinge z. B. eine Rassel in die Hand, stecken sie in den Mund oder lassen sie immer wieder auf den Boden fallen. Ab dieser Zeit werden Gegenstände „funktionell“ in das Spiel einbezogen. Typische Tätigkeiten können in dieser Zeit beobachtet werden:
● Schlagen,
● Schütteln,
● Reiben,
● Stoßen,
● Ziehen,
● Werfen,
● Aneinanderhalten,
● Aneinanderschlagen,
● Aus- und Einräumen
(vgl. Oy & Sagi, S. 128).
Mit der selbstständigen Erkundung des Spielmaterials beginnt das Kleinkind, sich immer mehr mit der dinglichen Umwelt auseinanderzusetzen. So lernt das Kind spielerisch, dass es beispielsweise verschiedene Oberflächenbeschaffenheiten, Größen, Farben, Formen und Gewichte gibt. Diese Materialerfahrungen sammelt der Säugling in der ersten Zeit vorwiegend durch orales Erkunden, indem er Rasseln, Beißringe usw. in den Mund steckt.
Die ersten Hand-Auge-Koordinationen entstehen in dieser Zeit. Am Beispiel einer Rassel lässt sich dies gut verdeutlichen. Der Säugling schüttelt eine Rassel, ein Geräusch ertönt. Er fixiert die Rassel visuell und sucht mit den Augen nach der Geräuschquelle. Dabei dreht er den Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kommt.
Das Explorations- und das Konstruktionsspiel
Etwa ab dem sechsten Lebensmonat und in engem Zusammenhang mit den sensomotorischen Spielen treten Explorations- und Konstruktionsspiele auf. Sie enden ca. mit dem 12. Lebensmonat. In dieser Phase geht es nicht nur um das Handhaben von Gegenständen und die erste Kontaktaufnahme darüber, hier will das Kind herausfinden, was man mit diesen Gegenständen alles tun kann. Fast alles kann in dieser Lebensphase die Neugier der Kinder anregen und zum Spielobjekt werden. Dabei steht das reine Ausprobieren dieser Gegenstände im Mittelpunkt und nicht der von Erwachsenen vorgesehene Einsatz.
Symbolspiel
Das Symbolspiel wird oft mit dem Fantasiespiel gleichgesetzt und bezeichnet eine Spielform, bei der die Kinder Gegenstände nicht mehr nur innerhalb ihres realen Einsatzgebietes verwenden, sondern ihnen neue Bedeutungen und Funktionen zuweisen. Auch Handlungen werden umgedeutet (Heimlich, 2015, 36 f).
Ab dem 12. Lebensmonat treten Kinder in eine Phase ein, in der sie verstärkt nachahmen, was Erwachsene ihnen vormachen. Diese Vorgänge beziehen sich zunächst auf praktische Alltagssituationen wie zum Beispiel Füttern, Baden oder das Umblättern eines Buches.
Das Kind spielt eine tatsächliche Situation nach und setzt sich dabei gleichzeitig mit der eigenen Entwicklungsaufgabe auseinander. Eines der beliebtesten Spiele des zweiten Lebensjahres knüpft an die Erfahrungen des Kindes in Bezug auf die Sauberkeitsentwicklung an, wobei es dabei vorrangig um die Kontrolle geht, die spielerisch an einer Puppe oder einem anderen symbolischen Gegenstand demonstriert wird. Das Symbolspiel ist zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr zu beobachten.
Im Symbolspiel ist fast alles denkbar und machbar. Es entsteht eine Fantasiewelt, in der sich das Kind als autonom erleben kann. Es kann den Ablauf des Spiels selbst steuern. Es kann auch Tätigkeiten von Erwachsenen, wie z. B. das Kochen, selbstständig durchführen. Dadurch erhält das Kind die Möglichkeit, Tätigkeiten, für die es selbst noch „zu klein“ ist, zu erfahren und zu begreifen. In der Fantasiewelt des Spiels ist es dem Kind außerdem möglich, bedrohliche Situationen zu durchleben und dabei immer selbst die Kontrolle zu behalten. Im Spiel können Gefühle durchlebt, in Worte gefasst und verarbeitet werden.
Rollenspiel
Das Rollenspiel entwickelt sich aus dem Symbolspiel heraus. Die Kinder nehmen Rollen von vertrauten Personen über fiktive Figuren bis zur eigenen Persönlichkeit ein und spielen beispielsweise Vater-Mutter-Kind. Es wird deren Handeln nachgeahmt (Heimlich, 2015, 38 f.). Einen wichtigen und großen Teil dieser Spielform macht die Metakommunikation aus. Durch diese sprachliche Ebene wird die fiktive Spielsituation von der realen Umgebung getrennt (Andresen, 2014, 172 f.).
Rollenspiele sind frühestens zum Ende des dritten Lebensjahres zu beobachten. Sie „[…] zeigen ein fortgeschrittenes Stadium der Symbolspiele an, in denen die Kinder sich intensiv darüber verständigen, wie die Spielhandlung vonstattengeht und fortentwickelt werden soll“ (Riemann & Wüstenberg, 2004, 45). Das Rollenspiel erfordert weitaus höhere soziale und kognitive Kompetenzen als das Symbolspiel, da die Spielhandlungen bewusst geplant und vorbereitet werden müssen. Auch werden, wenn es für die Spielhandlung erforderlich ist, mehrere Kinder bewusst in das Spiel mit einbezogen.
Im Rollenspiel erleben Kinder, was es bedeutet, sich in eine andere Person hineinzuversetzen. Sie übernehmen andere Rollen, andere Sichtweisen und erweitern so ihre sozialen Fähigkeiten. Durch die Rollenübernahme erhalten sie auch ein klareres Bild von sich selbst als Person. Es stellen sich die Fragen: Wer bin ich? Wer sind die anderen? Was macht mich aus?
Im Rollenspiel werden außerdem Gesprächsregeln, soziale und kulturelle Verhaltensweisen geübt.
Beim Planen von Spielhandlungen und Durchspielen von Handlungsabläufen werden Fähigkeiten geübt, mit denen später Erzählungen oder Aufsätze in einen logischen Ablauf gebracht werden können.
Spiel-, Kommunikationsverhalten und Sprachentwicklung sind Stich und Ptok (2009) zufolge eng miteinander verbunden. Sie gehen davon aus, dass zum Beispiel Kinder mit eingeschränkten Fähigkeiten im Symbolspiel in vielen Fällen insgesamt in ihrer Entwicklung eingeschränkt sind (Stich & Ptok, 2009, 1163 f.). Im logopädischen Alltag bedeutet dies, dass erst gewisse Entwicklungsschritte im Spielverhalten vollzogen werden müssen, bevor ein weiterer Meilenstein im Spracherwerb erreicht werden kann.
Die Therapeut*innen können die Erkenntnisse über die Spielentwicklung eines Kindes nutzen, um durch die Beobachtung des Spiels Rückschlüsse auf die kognitive, soziale und emotionale Entwicklung des Kindes zu ziehen. Stich und Ptok (2009) zufolge ist die spielerische Entwicklung sehr aufschlussreich für die kognitive und affektive Entwicklung (Stich & Ptok, 2009, 1164).
Andresen (2014) konstatiert beispielsweise, dass die Fiktion, welche ein zentraler Teil des Rollenspiels ist, nur durch Sprache erzeugt und markiert werden kann. Daher muss ein Kind spezifische sprachliche Hürden bereits überwunden haben, um hier erfolgreich zu sein. Außerdem „stellt das Rollenspiel hohe Anforderungen, komplexe Handlungen zu strukturieren und mit anderen Kindern ohne Unterstützung durch Erwachsene zu kooperieren“ (Andresen, 2014, 176). Unterstützen Erwachsene aber doch, gerade in der Rolle als Therapeutin, kann es ein Ziel sein, durch eine sprachliche Rahmengebung spielerisches Handeln in einem fiktionalen Kontext zu ermöglichen. So kann dem Kind die wichtige Funktion der Sprache als Mittel der Trennung von Fiktion und Wahrnehmungsraum verdeutlicht werden (Andresen, 2014, 175 f.).